Krankheit ist unter Musikern ein Tabuthema
Dr. Barbara Schroer ist Fachärztin für Chirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie sowie Handchirurgie und seit 2011 in der Praxisklinik Kronshagen niedergelassen. Vorher arbeitete sie am Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg und kümmerte sich schon dort gezielt um die gesundheitlichen Probleme von Orchestermusikern. „Mein Beruf und mein Hobby ergänzen sich da sehr gut. Da ich selbst Sängerin und Gitarristin in einer Band bin und auch privat viel mit Musikern zu tun habe, lag es nah, auch in der Niederlassung eine Sprechstunde für diese Gruppe anzubieten“, erzählt sie. In ihrer Praxis hat sich Dr. Schroer schnell einen festen Patientenstamm aufgebaut. Darunter sind Berufsmusiker, die im Orchester oder bei Rock- und Pop-Bands spielen, aber auch viele Hobbymusiker.
Krankheitsbilder
Die Beschwerden, wegen derer die Geiger, Gitarristen, Bassisten und Cellisten zu ihr kommen, sind vielschichtig. Die meisten klagen über überlastete Sehnen oder eine schmerzende Muskulatur im Rücken- und Nackenbereich. Andere leiden unter chronischen Schmerzen im Arm, an Überbeinen, Sehnenscheidenentzündungen, Druckstellen wie den „Geigerflecken“ am Hals oder Fingern, die sich nicht mehr wie gewohnt beugen lassen. Hauptursache sind meistens einseitige Belastung oder eine falsche Körperhaltung. Dazu kommen altersbedingte Erkrankungen der Wirbelsäule.
Knochenjob Musikbusiness
„Berufsmusiker zu sein ist einer der körperlich und psychisch anspruchsvollsten Berufe. Ihr Körper wird beim Spiel ähnlich stark strapaziert wie der eines Profisportlers“, erklärt Dr. Schroer. Berufsmusiker spielen viele Stunden am Stück oft auf engstem Raum und unter höchster körperlicher und emotionaler Anspannung. Bis zu 40 Stunden wöchentlich sind sie bei Proben und Konzerten im Einsatz. Dazu kommt noch das tägliche Übungspensum und ein enormer Erfolgs- und Konkurrenzdruck. „Wenn am Sonntag um 11 Uhr ein wichtiger Auftritt ansteht, dann ist das einfach so. Krankheit ist unter Musikern häufig ein Tabuthema. Viele haben Angst wegen eines körperlichen Leidens im Kampf um Orchesterstellen und Auftritte nicht mehr mithalten zu können.“
Behandlungsmethoden
Viele Berufsmusiker leben von den oft unsicheren Einnahmen aus ihrer Auftritten. „Meine Patienten sind daher sehr an einem schnellen Behandlungserfolg interessiert und wollen oft nicht operiert werden, da sie Sorge haben, dann lange auszufallen und nichts zu verdienen. Ich versuche diesem Wunsch natürlich so weit wie möglich nachzukommen, gehe bei der Behandlung möglichst ganzheitlich vor und suche zuerst nach den Gründen für die Erkrankung“, erklärt die Handchirurgin. Sie hinterfragt zuerst die Bewegungsroutinen der Patienten und bietet dann alternative Haltungstechniken an. Manchmal reiche es schon aus, wenn der Musiker ein Instrument in einer anderen Größe wählt. „Es kann ab einem bestimmten Alter z. B. besser sein, eine kleinere Geige zu wählen, weil die Kraft zum Bespielen oft nicht mehr ausreicht.“ Auch ein gezieltes Muskelaufbauprogramm könne helfen, denn Musiker nehmen sich berufsbedingt häufig wenig Zeit für sportliche Aktivitäten und Ausgleich.
Gut geplante Operationen
Ist eine konservative Behandlung von typischen Krankheitsbildern, wie Überbeinen oder Sehnenscheidenverklebungen bzw. -einengungen, nicht möglich, stimmt Dr. Schroer den Operationstermin immer mit den Auftrittsplänen der Musiker ab. Rockmusiker haben im Winter in der Regel weniger Auftritte als klassische Musiker, deren Saison gerade zu Weihnachten und Neujahr ihren Höhepunkt erreicht. „Eine gute Planung nimmt viel Druck aus der Situation. Ich operiere außerdem immer unter schonendsten Bedingungen mit feinstem Nahtmaterial und möglichst im blutleeren blutleeren Gewebe, sodass es keine Traumatisierungen und Narben gibt. Auch bei Musikern gilt eher „so viel wie nötig – so wenig wie möglich. Der Spruch „großer Schnitt – großer Chirurg“ passt nicht“, erklärt sie.
Jakob Wilder, KVSH, im Nordlicht aktuell, Ausgabe 3|15